Da erbarmte sich Zeus und gab ihnen ein anderes Mittel an die Hand, indem er ihre Schamteile
nach vorn verlegte; bisher nämlich trugen sie diese nach außen,
und so befruchteten und zeugten sie nicht ineinander, sondern in die
Erde wie die Zikaden. So versetzte er die Schamteile denn nun nach vorn
und bewirkte, dass die Menschen vermittels ihrer ineinander zeugten,
durch das Männliche nämlich im Weiblichen:
wenn der Mann eine Frau treffe, so sollte in der Umarmung die Zeugung
erfolgen und dadurch die neue Nachkommenschaft entstehen; treffe aber
ein Mann einen anderen, so sollten sie wenigstens von ihrer Vereinigung
Befriedigung haben; sie sollten sich beruhigen, sich ihren Geschäften
zuwenden und, was sonst zum Leben gehört, besorgen.
Seit so langer Zeit also ist die Liebe zueinander den Menschen angeboren,
um die ursprüngliche Natur wiederherzustellen, und Eros versucht,
aus zweien eins zu machen und die menschliche Natur zu heilen. Jeder
von uns ist also das Gegenstück von einem Menschen, da wir ja zerschnitten,
wie die Schollen, aus einem zwei geworden sind. Also sucht nun jeder
ewig sein Gegenstück. Alle Männer nun, die ein Stück
von dem gemischten Geschlecht sind, das damals mann-weiblich hieß,
lieben das Weib, und die meisten Ehebrecher gehören zu diesem Geschlecht,
und die Frauen, die den Mann lieben und ehebrecherisch sind, stammen
auch aus diesem Geschlecht. Alle Frauen aber, die Stücke einer
Frau sind, kümmern sich nicht viel um die Männer, sondern
sind mehr den Frauen zugetan. Alle aber, die Stücke eines Männlichen
sind, folgen dem Männlichen.
Wenn aber einmal einer seine wahre eigene Hälfte antrifft, dann
werden die beiden wunderbar erschüttert von Freundschaft, Vertrautheit
und Liebe und wollen auch nicht einen Augenblick voneinander lassen.
Und die ihr ganzes Leben hindurch miteinander verbunden bleiben, diese
sind es, die auch nicht einmal zu sagen wüssten, was sie voneinander
wollen. Denn es kann doch wohl nicht die Gemeinschaft des Liebesgenusses
sein, um dessentwillen sich ein jeder so freudig und so eifrig mit dem
anderen vereint. Offenbar will vielmehr die Seele beider etwas anderes,
was sie aber nicht aussprechen kann und deshalb nur in Zeichen und Rätseln
andeutet.
Die Ursache davon ist, dass wir ursprünglich so beschaffen und
ganze Menschen waren. Dies Verlangen nun und Trachten nach dem Ganzen
heißt Liebe.
Aus: Platon, Das Gastmahl oder Von der Liebe (383 v. d. Zt.)
+) | Giganten: Ein Riesengeschlecht, das die Götter zu stürzen suchte, aber von ihnen vernichtet wurde. |
++) | Schlauchhüpfen: Beim Fest der ländlichen Dionysien verfertigten die Landleute aus der Haut eines dem Dionysos geopferten Bockes einen Schlauch, füllten ihn mit Wein, machten ihn mit Öl schlüpfrig und veranstalteten dann darauf ein Wetthüpfen auf einem Bein. |